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Burgdorf, Schweiz
AutorenbildYvonne Friedli

Resilienz

Aktualisiert: 10. Apr. 2021



Resilienz wird aus dem Lateinischen von "resilire" abgeleitet, was soviel bedeutet wie "zurückspringen" "abprallen".

Der Begriff wird vorwiegend in der Psychologie verwendet, findet aber immer mehr Einzug auch in unseren Alltag.

Ein Mensch, der trotz schweren Schicksalsschlägen, wie zum Beispiel der plötzliche Verlust eines nahe stehenden Menschen, langer Arbeitslosigkeit, nach einem Trauma, heute auch Langzeitstress, Rückschlägen jeglicher Art etc., es schafft psychisch gesund zu bleiben, wird als resilient bezeichnet.

Solche Menschen schaffen es nicht nur psychisch recht stabil durch Krisen zu gehen, sondern können innerlich auf Resourcen zurückgreifen, die ihnen helfen Krisen als Entwicklungschancen zu sehen und zu nutzen, während andere Menschen in der gleichen Situation zerbrechen.

Der Begriff "Resilienz" hat sich über die letzten Jahre gewandelt. Anfangs wurde er vor allem für Menschen genutzt, besonders Kinder, die ihre psychische Gesundheit unter Situationen und Umständen erhielten, wo andere zerbrochen wären. Beispielsweise bei Kindern die auf der Flucht waren, oder in extremer Armut aufgewachsen sind und es trotz dieser schwierigen Situationen geschafft haben als Erwachsene einen guten Beruf zu erlernen und etwas aus ihrem Leben zu machen und dabei psychisch unauffällig blieben.

Jack Block hat den Begriff der Resilienz in die Psychologie eingeführt. Bekanntgeworden ist er durch die amerikanische Forscherin Emmy Werner und ihrer Kollegin Ruth Smith.

Werner legte 1971 eine Studie vor, in der sie über einen Zeitraum von 40 Jahren 698 Kinder, die im Jahrgang 1955 in schwierige Verhältnisse geboren worden sind, auf der Insel Kauai, begleitete. Rund ein Drittel dieser Kinder schaffte es zu lebenstüchtiger Erwachsener heranzuwachsen. Wobei Werner feststellte, dass die Resilienz nicht immer im gleichen Mass da war und unter verschiedener Umweltbedingungen ändern konnte. Sie ging deswegen davon aus, dass Resilienz etwas Erlernbares ist und nichts zwingend etwas Angeborenes.

In ihrer Studie verwies sie auch auf frühere Studien zum Thema Resilienz.

Einer der Pioniere war Norman Garmezy der in den 60er Jahren feststellte, dass Kinder schizophrener Eltern später durchaus ein glückliches, erfolgreiches und selbstbestimmtes Leben führen konnten.

Inzwischen ist Resilienz ein spannender Forschungszweig geworden und die Definition hat sich ausgeweitet. Es werden dabei mehrere Hauptfaktoren beachtet: Die Selbstwirksamskeitserwartung(Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit unter extremer Belastung), der Optimismus, die soziale Unterstützung durch Familie und Freunde und der positive Bewertungsstil, d.h. wie wir negative Ereignisse bewerten.

Unsere Resilienz wird also von aussen, durch Umwelt, Lehrer*innen, Familie und Freunde, aber auch durch uns selber, unsere Emotionen, unsere Wahrnehmung der Situation, durchaus auch Religion und Spiritualität beeinflusst.

Das Umfeld resilienter Kinder zeichnet sich aus durch Eltern, die gesund mit ihren Emotionen umgehen und trotz ihrer eigenen Probleme ihren Kindern zuhören und emphatisch sind.

Manche Faktoren, die unsere Resilienz fördern sind angeboren. Genetische Unterschiede beeinflussen unser Immunsystem und dadurch die Belastbarkeit. Wer ein gutes Immunsystem besitzt, der schüttet in Stresssituationen weniger Interleukin-6 aus. Interleukin-6 ist ein Immunbotenstoff, der für Entzündungsreaktionen im Organismus verantwortlich ist. Er soll auch verantwortlich sein für mehr Ängstlichkeit. In schwierigen Situationen kann die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger werden für Interleukin-6 und das wiederum kann manche von uns nervöser und unruhiger machen und die Konzentration erschweren. Jeder Organismus reagiert selbstverständlich anders und auch Geschlechterspezifisch gibt es Unterschiede:

Männer reagieren eher zeitnah, während Frauen oft verzögert reagieren. Warum das so ist, wissen die Forscher noch nicht. Zur Zeit wird auch erforscht, ob eventuell unser Mikrobiom (die Bakterien unseres Körpers) ebenfalls Einfluss auf unsere Resilienz hat. Es sind noch viele Fragen offen auch, ob und wie Resilienz trainierbar bzw. erlernbar ist. Genauso wie Heilung nach einer Krankheit verläuft auch die Resilienz nicht linear. Erholung der Seele braucht Zeit und es gibt Tage, die heller sind und Tage, die dunkler wirken. Deswegen plädieren auch immer mehr Psychologen dafür die Resilienz nicht als Persönlichkeitseigenschaft zu sehen, sondern als Prozess der Erholung, der ganz unterschiedlich verlaufen kann. Wichtig bei dieser Erholung ist ein stabiles Umfeld, so dass der Betroffene wieder Hoffnung und Zuversicht, Mut und Kraft schöpfen kann.

Die Mehrzahl der Musiker*innen und Künstler*innen, die ich kennengelernt habe, gehören zweifelsohne zu den resilienten Menschen, die mit vielen verschiedenen Rückschlägen zu kämpfen haben. Alleine dadurch, dass wir uns jeden Tag aufs neue hinstellen und an unserem Handwerk feilen um uns weiter zu entwickeln setzt eine grosse Disziplin und auch Selbsteinschätzung voraus. Viele von uns Musiker*innen gehen auch noch viele Jahre nach Abschluss des Studiums regelmässig zum Unterricht oder zur Korrepetiton. Beim Unterricht lernen wir durch die Kritik unseres Lehrers und/oder Coachs, was wir verbessern können. Es braucht viel Selbstvertrauen, sich immer wieder hinzustellen, auseinander nehmen zu lassen und nach der Stunde neu zusammen zu setzten. In unserem Beruf gehören Rückschläge dazu, wie zu jedem anderen Beruf auch. Nicht bestandene Vorspiele, oder Vorsingen mit schlechter Rückmeldung sind bei uns eigentlich Alltag. Gerade bei Vorsingen habe ich teilweise Absurditäten erlebt. Einmal zum Beispiel, habe ich für ein Vorsingen von Britten aus "Sommernachtstraum" die Arie der Titania gewählt. Diese ist Bitonal, das heisst in der Begleitung ist eine andere Tonart, als in meiner Singstimme, die ich singe, das erzeugt von Britten gewollte Reibungen und klingt für den Zuhörer manchmal auch falsch und ungewohnt. Die Rückmeldung: Meine Intonation sei schlecht. Ich bin aber relative Absoluthörerin und habe mit meiner Intonation definitiv kein Problem. Das hat sich in der zeitgenössischen Musik für mich bisher immer ausgezahlt. Nach dieser Erfahrung habe ich beschlossen nur noch Feld-Wald-Wiesenrepertoire zu Vorsingen mitzunehmen, das der letze Trottel an einem Opernhaus irgendwie noch so halbwegs kennen müsste. Es hat sich ausgezahlt.

Oft, wenn man eine Stelle als Musiker*in nicht bekommt, denken die Leute, das sie das begründen müssten. Die Begründungen sind oftmals nicht unproblematisch und leider geht es auch oft ans Eingemachte. Dasselbe bei Nichtverlängerungsgesprächen, Kündigungen etc. Sich dabei selber richtig einzuschätzen, alles dort einzuordnen, wo es hingehört, aufstehen und weiterzumachen braucht definitiv Resilienz.

Und nun, in den jetzigen Zeiten während der Pandemie, ist unsere Resilienz mehr denn je gefragt. Wie geht jeder von uns, vor allem aber die Freischaffenden unter uns, mit den ganzen Konzertabsagen/Projektabsagen um?

Wie gehen wir um mit der Ungewissheit unserer beruflichen Zukunft?

Niemand kann uns sagen, wann der Kulturbetrieb wieder "normal" läuft.

Auf uns freiberuflichen Musiker*innen bezogen bedeutet das: Finanziell nach wie vor grosse Einbussen, kaum Chancen auf Vorsingen oder Vorspielen und das wahrscheinlich für die nächsten 2 Jahre... das sind zwei wertvolle Jahre, die in die Landen ziehen, die eine Lücke in unserem Lebenslauf hinterlassen, für die wir nichts dafür können, die aber bei Einladungen für Vorspiele und Vorsingen durchaus Relevanz haben. In Deutschland will sich fast niemand festlegen, weder die Kulturbetriebe noch die Opernhäuser.

Viele Konzerte hängen unter einem Damoklesschwert, das jederzeit runterfallen kann mit den steigenden Fallzahlen und den Massnahmen der Politiker.

Ich möchte nicht wissen, wieviele Träume in diesen Zeiten bei jedem von uns sterben...nicht nur bei den Musiker*innen. Bei uns allen und vor allem auch bei den jungen Menschen, die studieren wollen, ein Auslandsemster machen möchten, Praktika nicht absolvieren können usw.

Die Pandemie spaltet nicht nur die Gesellschaft, sondern bringt jeden von uns in irgendeiner Form an die Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit. Manche mehr, andere weniger.

Es gibt kein Patentrezept im Umgang mit Krisen. Jeder muss seinen ganz eigenen Weg gehen. Auch Ratschläge zu erteilen ist sehr schwer in dieser Zeit, weil jeder und jede es ganz individuell erlebt und durchlebt.

Mir kommt es manchmal vor wie ein grosser Sturm auf offener See: Die Wellen sind oft so hoch, dass ich nicht darüber hinaus sehen kann und ich treibe mit meinem Boot, das ich zu steuern versuche, mal mit mehr oder weniger Erfolg, durch diesen Sturm, dessen Ende nicht abzusehen ist. Es ist auch kein Land in Sicht, wo ich andocken könnte und so treibe ich vor mich hin und versuche irgendwie heil durch zu kommen, ohne Schiffbruch zu erleiden. Gar nicht so einfach. Manchmal flacht der Sturm etwas ab, dann kann ich mich kurz ausruhen und an manchen Tagen ergreift er mich wieder mit voller Wucht, so dass es mich sehr viel Kraft kostet weiter zu steuern. Wo die Fahrt hingeht kann niemand von uns sagen, es ist uns und unserem Glauben an die Zukunft überlassen.

Trotz all diesen Widrigkeiten glaube ich fest daran, dass es sich lohnt an seine Träume und Ziele zu glauben und den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen. Ich glaube daran, dass auch wenn wir zur Zeit einen noch nie davor da gewesenen Fall nach unten erleben, es wieder nach Oben gehen muss und dass wir dann wie der Phoenix aus der Asche steigen und uns gestärkt durch die äussere, aber auch die innere Krise, die viele unter uns erleben emporschwingen werden. Und was ist das anderes als gelebte Resilienz?









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