Letzte Woche habe ich über die Auswirkugen von Stress und den Hormonen geschrieben, die dabei ausgeschüttet werden.
Diese Woche möchte ich einen genaueren Blick auf den weiblichen Zyklus werfen. Erst mal im allgemeinen, aber durchaus auch bezogen auf das Singen. Ich gehe beim Zyklus von einem natürlichen, "normalen" Zyklus aus ohne Einwirkung von synthetischen Hormonen. Und einmal mehr möchte ich betonen, dass ich kein Arzt bin oder eine ärztliche Abhandlung vornehmen möchte.
Unser Wachstum wird von Hormonen gesteuert. Irgendwann ist der Körper eines Mädchens soweit: Die erste Monatsblutung tritt ein, Menarche genannt. Rund 400 Mal, bis zur Menopause, findet nun Monat für Monat ein Zyklus statt, der in genauster Abstimmung von Hormonen seinen Lauf nimmt.
Den Zyklus zählt man vom 1. Tag der Blutung. Bei der Blutung wird die Schleimhaut abgestossen, die der Körper in Erwartung einer Schwangerschaft aufbaut, die in den meisten Fällen jedoch nicht eintritt. In Deutschland bekommt eine Frau im Durchschnitt 1,56 Kinder im Leben. Also viele Frauen bekommen "nur" ein Kind, manche 2. Die wenigsten 3 oder mehr Kinder. Von den rund 400 Zyklen finden also ca. 2 ihre Bestimmung. Alle anderen gehen leer aus und enden in der Monatsblutung.
Die Blutung dauert 4-7 Tage im Durchschnitt. Es gibt längere und kürzere Blutungen. Die Mensturuation ist so individuell wie die Frauen, die sie haben. Auch die Zykluslänge kann stark variieren von Frau zu Frau und bei der Frau selbst. Ich gehe hier von einem 28 Tage Zyklus aus. Alles was zwischen 23-35 Tage liegt, zählt als "normal".
Grob kann man den Zyklus in zwei grosse Abschnitte einteilen: Die Phase vor dem Eisprung (Pholikelphase) und die Phase nach dem Eisprung (Lutelalphase).
Jede Frau hat ihre Anzahl Eizellen von Geburt an festgelegt. Eizellen können vom Körper nicht nachproduziert werden. Es sind ungefähr 2 Millionen Primärfollikel pro Eierstock. Wenn das Mädchen heranwächst reduziert sich die Anzahl der Primärfollikel auf ca. 400000 bis zur Pubertät.
Unsere Hormone sind immer aktiv und das weibliche Geschlechtsorgan multitasking: Während noch die Schleimhaut abgestossen wird beginnt der Körper erneut Hormone FSH (Follikelstimmulierendes Hormon) auszuschütten, damit eine neue Eizelle heranreifen kann. Das Follikel, das am schnellsten reift, gewinnt das Rennen und darf springen, die anderen bleiben im Eierstock zurück. Ganz selten reifen zwei oder mehr Follikel gleichzeitig an und springen gleichzeitig. Wenn sie befruchtet werden kommen zweieiige Zwillinge oder Mehrlinge zur Welt, aber normalerweise bleibt es bei einem Follikel. Der am stabilsten wachsende Follikel bildet eine beachtliche Zellschicht um die Eizelle. Gleichzeitig wird im Eierstock Östrogen produziert. Je grösser der Follikel wird umso mehr Östrogen wird produziert und auch ans Blut abgegeben. Das regt wiederum gleichzeitig das Wachstum der Schleimhaut in der Gebärmutter an, so dass sich im Falle einer Befruchtung die Eizelle einnisten und zu einem Baby heranwachsen kann.
In dieser ersten Hälfte des Zyklus geht es den allermeisten Frauen gut, sobald sie die Blutung hinter sich gelassen haben, es ist wie das Einsetzten eines Frühlings, wo die Lebenskräfte zurückkehren. Die Hormone verleihen vielen von uns eine gewisse Unternehmungslust, die Dinge gehen uns leichter von der Hand, wir können viel schaffen. Wir fühlen uns ein kleines bisschen wie "Superwoman", der alles gelingen kann und der kein Hindernis zu gross ist. Tage mit vollen Terminkalendern machen uns in der Zeit nicht sehr viel aus. Unsere Haut ist in dieser Zeit meistens rosig, klar und um den Eisprung herum sehr gut durchblutet. Der Eisprung wird durch unsere Hirnanhangdrüse ausgelöst. In den Tagen um den Eisprung misst die Hirnanhangdrüse ständig den Östrogengehalt im Blut, der übrigens von Frau zu Frau variieren kann und auch von Zyklus zu Zyklus. Hat dieser ein bestimmtes Level erreicht, gibt die Hirnanhangdrüse das LH (Luteinisierendes Hormon) frei, das den Eisprung auslöst. Um den Eisprung befinden wir uns im übertragenen Sinne im Sommer unserer Zyklus mit seiner üppigen Wärme und dem prallen Leben. Viele Frauen sind in dieser Zeit besonders Abenteuerlustig und stärker als sonst und manche Männer riechen in der Zeit für Frauennasen sehr verführerisch. Doch, wie wir wissen, folgt auf den Sommer der Herbst und Winter.
Während des Eisprungs verlässt die Eizelle den Follikel. Den nimmt sie nicht mit auf den Weg in die Gebärmutter. Nachdem der Follikel die Eizelle freigegeben hat, befindet diese sich noch in einer Grauzone im Bauchraum. Sie geht nicht direkt in den Eileiter. Der zurückgelassene Follikel sendet Botenstoffe aus, so dass der Eileiter die Eizelle am Ende einsaugt. Nachdem nun die Eizelle sicher im Eileiter gelandet ist, schliesst sich das Follikel wieder. Im Hohlraum des Follikels, wo vorher die Eizelle war, bilden sich gelbliche Pigmentzellen, der Gelbkörper. So wird auch die zweite Hälfte des Zyklus genannt, also Gelbkörperphase.
Die Eizelle ist nach dem Sprung gerade mal 12-24Stunden befruchtungsfähig. Das ist nicht besonders lange. Timing ist dabei das wichtigste.
Der Gelbkörper des Follikels produziert nun das Hormon Progesteron. Die Temperatur des weiblichen Körpers steigt um 0,3-05°C an. Wenn es nicht zu einer Befruchtung gekommen ist bildet sich das Progesteron, das zum Erhalt einer Schwangerschaft wäre, zurück. Der Gelbkörper bildet sich zurück und stellt seine Hormonproduktion ein. Im Blut sinkt der Östrogen- und Progesteronspiegel ab. Trifft dies ein, beginnt die aufgebaute Gebärmutterschleimhaut sich aufzulösen...wir sind wieder am Ende des Zyklus angekommen, bzw. am Anfang. Übrigens: Das Menstruationsblut ist das wertvollste; voll an Eisen und anderen Mikronährstoffen. Es wäre bestens für die sich einnistende Eizelle gesorgt.
Viele Frauen fühlen sich in der zweiten Zyklushälfte weniger wohl. Der Herbst mit seinen kurzen Tagen verdunkelt oft unser Gemüt und kündigt den Winter an. Viele von uns haben das Bedürfnis sich gegen Ende der 2. Zyklushälfte zurück zu ziehen. PMS (Prämenstrueles Symptom) macht uns zu schaffen mit Wassereinlagerungen, manchmal auch Kopfschmerzen und anderen Beschwerden. Es ist, wie wenn die Enttäuschung über das nicht Eintreten der Schwangerschaft, sich auf die Psyche vieler Frauen legen würde. Viele sind in der Zeit dünnhäutiger, kritischer, besonders gegenüber sich selber und fühlen sich unattraktiver. Es ist, wie wenn in dieser Zeit uns eine innere Kritikerin begleiten würde, die uns ständig kritisiert für die unterschiedlichsten Dinge und wir uns vor ihr rechtfertigen müssten. Es ist ein ständiger innerer Kampf, der viele von uns anstrengt. Sobald dann die Tage in Sicht sind, verschwindet die innere Kritikerin genauso schnell wie sie gekommen ist. Es kehrt eine innere Ruhe ein.
In früheren Zeiten, bis ungefähr ins Mittelalter, war es üblich, dass sich die Frauen während der Menstruation aus der Gesellschaft zurückzogen und sich an einen bestimmten Ort begaben. Dort konnten sie sich mit den anderen Frauen austauschen, neben Neuigkeiten auch wertvolles Wissen weitergeben, sich gegenseitig beraten und nach dem Ende der Blutung gestärkt in die Gemeinschaft zurückkehren. Eine Art Kurzurlaub. Leider wurde diese Tradition irgendwann von der Kirche verboten mit der Begründung und Unterstellung der Hexerei.
Gerade für uns Sängerinnen ist das Leben mit unserem Zyklus nicht immer einfach. Eine anonyme Umfrage unter Kolleginnen hat gezeigt, dass viele vor den Tagen auch sängerisch mehr zu kämpfen haben als sonst. Viele beklagen, dass die Höhe nicht so funktioniert wie sonst, oder gar über Höhenverluste von mehreren Tönen. Das ist physiologisch gesehen nachvollziehbar: Das Wasser, das der Körper einlagert, wird in den Schleimhäuten eingelagert. Unser Stimmapparat ist mit sehr vielen Schleimhäuten ausgekleidet und die Mikromuskulatur unserer Stimme reagiert auf kleinste Veränderungen. So wundert es nicht, dass Sängerinnen um ihre Tage herum sich mehr mühen müssen beim singen. Durch die Wassereinlagerungen der Schleimhäute muss auch mehr "Masse" bewegt werden, wie wenn der Stimmapparat ein unfreiwilliges Gewichtstraining machen müsste, wenn auch im Mikrobereich. Das führt oftmals zu einer schnelleren Ermüdung beim Singen.
Noch bis vor einigen Jahrzehnten führten Intendanten und Imperssario einen Zykluskalender ihrer Primadonnen. Wenn eine Diva ihre Tage hatte wurde keine Premiere angesetzt. An den Opernhäusern hatten die Damen während ihrer Menstruation dienstfrei, was sowohl der Psychische als auch physiologisch betrachtet der Stimme gut tat. Es ist anstrengend an Tagen mit wenig Energie Höchstleistungen erbringen zu müssen. Die Stimme braucht nach solchen Kraftakten mehr und längere Erholung.
In die heutige Zeit ist diese Praktik leider schwer umzusetzen. Das Wissen darüber ist in der doch mehrheitlich männerdominierten Theaterlandschaft verloren gegangen. Ich kann mir ausserdem vorstellen, dass sich viele Kolleginnen dadurch wahrscheinlich bevormundet fühlen könnten. Eigentlich schade. Wir sind nun mal Frauen und nicht "weibliche Männer". ;)
Im Sport ist man in dieser Hinsicht schon wesentlich weiter: Dort hat man erkannt, dass wenn man die Athletinnen, Fussballerinnen, Sportlerinnen im allgemeinen, nach dem Zyklus beziehungsweise mit dem Zyklus trainiert, der weibliche Körper zu viel mehr Leistung bereit ist und das Training viel effizienter ist, als wenn man sie wie Männer trainiert.
Krafttraining soll vor allem in der ersten Zyklushälfte sehr erfolgreich sein, die Östrogen dominiert ist, das übrigens ähnlich wirkt wie Testosteron. Muskeln können in der Zeit sehr gut aufgebaut werden. Nach dem Eisprung ist eine ideale Zeit für Ausdauertraining. Wenn es dann wieder auf die Tage zu geht ist moderate Bewegung und Training sehr wertvoll. Auch während der Tage kann ein moderates Training, Yoga oder ähnliches sich sehr gut auf das Befinden der Frauen auswirken und sogar krampflösend sein.
Wir Frauen haben in den letzten Jahrzehnten viel erreicht, was die Gleichberechtigung oder auch Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbelangt. Sicher, es gibt nach wie vor viel Arbeit für uns und unsere Gesellschaft und es existiert leider immer noch in vielen Bereichen die Gendergap, nicht nur was den Lohn anbelangt.
Gerade deswegen finde ich es wichtig, dass wir uns als Frauen einbringen und nicht als Frauen, die den Männern beweisen müssen, dass sie noch viel stärker als Männer sind.
Es ist anstrengend immer "Superwoman" zu sein und entspricht nicht der Realität. Genau so wenig, wie die Männer nur als "Superman" durch die Welt laufen.
Wenn wir lernen mit unserem Zyklus zu leben und nicht gegen ihn, oder ihn als nur negativ, behindernd wahrnehmen, können wir als Frauen unser volles Potential entwickeln und schlussendlich ausschöpfen. Bei meiner Recherche zum Thema Hormone und weiblichen Zyklus bin ich nur auf wenige Bücher und Literatur gestossen. Der Zyklus wird nach wie vor von vielen zu wenig wahrgenommen, fast ignoriert, um es freundlich zu formulieren. Es ist meines Erachtens wichtig, dass wir anfangen offen über unseren Zyklus zu sprechen, untereinander aber auch mit unseren Partnern und unserem Umfeld. Nur dann, wenn wir selber unseren Zyklus akzeptieren und mit ihm Stück für Stück ins Reine kommen, ihn kennen und annehmen können, erhalten wir Kraft und Energie durch ihn und in dem Moment fühlen wir uns auch bei uns selber als Frau angekommen. Selbstverständlich gelingt das nicht von heute auf morgen beziehungsweise von einem Zyklus auf den anderen. Es ist wie vieles im Leben ein Prozess. Doch ein Prozess, der sich mehr als lohnt!
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