Die norditalienischen Frauenklöster
Kloster in Ferrara, Quelle: WJR
Das Pauluswort und seine Folgen
Die wichtigsten Stätten und fast einzige Möglichkeit für Frauenbildung im Allgemeinen aber auch in der Musik, waren im Mittelalter und weit darüber hinausgehend die Frauenklöster. Dort konnte sich eine selbständige, professionelle, weibliche Musik entfalten.
Dieser Umstand liegt im sogenannten "Pauluswort" begründet, einem übersetzten Zitat des 1. Korinthers, 14,34 „Mulieres in ecclesiis taceant.“ also in etwa „Die Frauen sollen in euren Versammlungen schweigen.“ Aufgrund dieses Zitates war es Frauen sehr lange verboten im Gottesdienst zu sprechen oder gar professionell Musik zu machen. Ungefähr vom 3. Jahrhundert bis weit in die Neuzeit galt diese Prämisse, besonders in katholisch geprägten Regionen.
Heute ist das Zitat umstritten. Manche meinen es sei nur die Frau im Singular damit gemeint. Noch andere Forschungen gehen davon aus, dass die Stelle von einem Redaktor nachträglich eingetragen wurde. Umso erstaunlicher ist es, wie Frauen es immer wieder geschafft haben dieses Verbot zu umgehen.
Musik und Kultur unter Alfonso II d`Este
Erst in der heutigen Zeit werden Werke von Frauen Stück für Stück wiederentdeckt, so wie jene von Hildegard von Bingen. (Blog 18.2.2021)
Eine besondere Fülle an musikalisch hochgebildeten Frauen und Komponistinnen gab es in Norditalien. Ferrara war eine Hochburg der Frauen- Musik Tradition, deren Hochblüte in der Zeit von Alfonso II d`Este(1533-1597) stattfand.
Er war ein grosser Förderer der Künste und der Musik. Er unterstützte auch das Frauen-Ensemble "Concerte delle Donne", so dass die Idee eines Frauen- Musik-Ensembles bald über ganz Italien ausbreitete und Nachahmung fand.
Der Ursprung dieses Konzeptes "Concerte delle Donne" war in den Madrigalen von Luzzasco Luzzaschis (1545–1607) begründet. Diese Madrigale waren für bis zu drei Frauenstimmen und Bassocontinuo beziehungsweise Generalbass geschrieben. Es waren Auftragswerke für den musikliebenden Alfonso II, der fast jeden Abend private Konzerte für ausgewähltes Publikum in den Gemächern seiner Frau abhielt.
Das besondere an diesen Madrigalen ist, dass sie wirklich für hohe Frauenstimmen und nicht für Kastraten komponiert worden sind. Die Madrigale orientierten sich an der Volkssprache und Volkslyrik und äusserte sich durch Dichtung und Musik, die jedoch sehr variabel eingesetzt werden konnte. Daraus entwickelte sich die "Ferrarer- Madrigalschule". Diese erhielt verschiedenen Einflüssen, auch von aussen, von Besuchern wie Orlando di Lasso, Giulio Caccini und anderen Mitgliedern der Cammerata Fiorentina. Sie alle waren massgeblich an der Entwicklung der Oper beteiligt.
In der Madrigalausgabe von 1601 sind die Singstimmen genau ausgeschrieben, speziell auch die Bereiche, wo sonst gerne improvisiert wurde. Das ermöglicht uns einen Einblick an die virtuosen Anforderungen der Sängerinnen.
Die ersten Berufssängerinnen der Geschichte
Laura Peperara (ca. 1545–1601), Livia d’Arco (1565–1611) und Anna Guarini (1563–1598) bildeten den harten Kern des Ensembles. Sie waren als Hofdamen der Herzogin angestellt und erhielten einen Lohn für ihre Arbeit. Somit waren sie die ersten dokumentierten Berufssängerinnen in der Geschichte. Ihre Ausbildung war hervorragend. So war es ihnen möglich, die schwierigsten Melodien mit Auszierungen vom Blatt zu singen. Eine Fertigkeit, die die wenigsten Sänger*innen heute mitbringen und die gerne zur Eignung für Vorsingen bei Rundfunkchören genutzt wird um die Auswahl einzugrenzen.
Die Sängerinnen prägten mit ihrer Gestaltungskraft, Darstellungsgabe, ihrer Farbenvielfalt durch verschiedene Affekte in ihrer Gesangsstimme lange Zeit die Musikgeschichte, weit über die Grenzen hinaus und solche Virtuosität wurde erst einiges später durch die Kastraten wieder erreicht.
Vittoria Raffaella Aleotti
Von diesem hohen musikalischen Niveau in Ferrara profitierten zahlreiche Frauen.
Unter anderem Vittoria Raffaella Aleotti (1575- wahrscheinlich 1646). Sie war die zweite Tochter des Architekten Giovanni Battista Aleotti (1546-1636), der am Hofe von Alfonso II d`Este tätig war und grossen Einfluss auf die Architektur seiner Zeit hatte. Er war nicht "nur" Architekt sondern auch Ingenieur und Bühnenbildner, also den Künsten sehr zugewandt. Er plante und baute unter anderem das Teatro Farnese in Parma.
Bereits mit fünf Jahren wurde Vittoria musikalisch ausgebildet. Bei ihrem Eintritt in das Augustiner-Kloster in Ferrara nahm sie den Namen Raffaella an. Später als Priorin hiess sie dann Raffaella Aleotti. Das führte immer wieder zu Vermutungen, dass es zwei verschiedene Frauen gewesen sein musste, doch neuere Forschungen belegen, dass es sich dabei um ein und dieselbe Person handelte.
Schon früh begann sie zu komponieren. Erste erhaltene Werke gehen auf das Jahr 1591 zurück. Ihr Vater liess seine Verbindungen zum Hof spielen und so war es Vittoria möglich, dass sie Texte des Hofsekretärs und Dichters Giovanni Battista Guarin(1538 -1612) vertonte. Daraus entstanden 21 weltliche Madrigale, die ihr Vater 1593 in Venedig veröffentlichte. Im gleichen Jahr wie sich Vittoria unter ihrem neuen Klosternamen Raffaella als sakrale Komponistin einen Namen machte mit ihren Werken "Sacrae cantiones".
Es ist nicht weiter verwunderlich, dass in Ferrara auch sehr gute und für die damalige Zeit modernste Tasteninstrumente und Orgeln standen. Raffaella Aleotti galt als Virtuosin der Orgel.
Unter ihr als Priorin blühte die Musik des Augustinerklosters weiter auf. Auch überliefert ist, dass Vittoria beziehungsweise Raffaella mit Dirigierstock das Orchester des Klosters, das aus Blasinstrumenten, Lauten, Gamben, Flöten, Harfen bestand, leitete- in der damaligen Zeit eine Rarität. Es war auch ungewöhnlich, dass die Frauen des Klosters alle in der damaligen Zeit gängigen Instrumente spielten, ohne Einschränkung.
Was wir bis heute nicht wissen ist, ob die "Concerte delle Donne" mit der Klostermusik Berührungspunkte hatte. Wahrscheinlich haben sie gegenseitig die Konzerte besucht. Doch gewiss ist es noch nicht, das werden zukünftige Forschungen hoffentlich noch offenbaren.
Weitere Norditalienische Musikerinnenstätten
Doch auch in anderen Norditalienischen Städten finden sich musikalische Hochkulturen mit Frauen unter anderem in Mailand unter Chiara Margarita Cozzolani (1602-gestorben zwischen 4. Mai 1676 und 20. April 1678). Von ihrem Leben ist nicht sehr viel überliefert, doch auch einige ihrer Kompositionen sind erhalten.
Eine Ausnahme in der Geschichte bilden die Waisen- und Krankenhäuser in Venedig. Trotz päpstlichem Verbotes wurden dort Mädchen und Frauen im Gesang und der Musik professionell ausgebildet, ausserhalb des Klosters und gaben öffentliche Konzerte.
Antonio Vivaldi hat viele Werke für seine Schützlinge geschrieben und mit ihnen aufgeführt. Unter anderem auch seine Violinkonzerte. Diese Mädchen und Frauen durften die Gottesdienste mitgestalten. Die Konzerte und Gottesdienste zogen viel namhaftes Publikum an, aber leider machte dieses Konzept in Europa nicht Schule. In allen anderen Teilen Italiens und Europas durften Frauen weiterhin in keinen Gottesdienste musikalisch mitwirken.
Die Auswirkungen des Pauluswortes und wie es weitergeht
Das Pauluswort hallte lange nach, nicht nur in Italien. Doch überall fanden Frauen Wege und Möglichkeiten dieses Verbot zu umgehen. Auch in Deutschland und Österreich. Dazu mehr in meinem Blogbeitrag nächste Woche!
Comments