Sommerzeit
Alle Theater Deutschlands haben eine Sommerpause von einigen Wochen. Die allermeisten für 4-6 Wochen. Vielen Leser:innen mag das viel erscheinen. Doch wenn man bedenkt, dass die Künstler:innen unter dem Jahr keinen Urlaub haben, fast immer an den Wochenenden und Festtagen arbeiten müssen, ist es durchaus gerechtfertigt, dass die Sommerzeit etwas grosszügiger ausfällt.
Doch was machen die ganzen Künstler:innen in dieser Zeit?
Der Sommer ist jeweils gefüllt mit verschiedensten, interessanten Festivals von Bregenz über Schönebeck, Bad Ischl, Bayreuth und noch viele andere, die alle zu ähnlichen Zeiten, zum Glück aber auch etwas zeitversetzt stattfinden. Manche spielen Open Air, andere nutzen die jeweiligen Theater. Viele Künstler:innen sind einen Teil des Sommers bei den Festivals eingebunden als Mitwirkende. Manche haben dadurch gar keinen Urlaub oder nur verkürzt.
Doch viele machen tatsächlich in der Zeit Urlaub. Gerade die Sänger:innen halten durchaus mehrere Wochen Stimmruhe, wo die Stimme mal ausschliesslich zum Sprechen und nicht zum Singen da ist. Wie schon in früheren Artikeln beschrieben ist unsere Stimme ein Hochleistungsinstrument mit unzähligen Muskeln und Faszien, die in feinster Abstimmung funktionieren und interagieren. Opernsänger:innen leisten mit ihrem Instrument Höchstarbeit. Wenn wir während der Saison viel gesungen haben, dabei müssen wir bedenken, dass viele Kolleg:innen auf 60 Vorstellungen oder mehr pro Spielzeit kommen, bekommt es der Stimme gut, wenn sie mal etwas Ruhen kann, ähnlich wie bei Spitzensportlern die Trainisngpause. Die Muskeln können in dieser Zeit regenerieren und dann gestärkt in die neue Saison starten.
Was wir in dieser Zeit alles anstellen, ist wie immer sehr individuell.
Ich persönlich habe diesen Sommer eine Woche Stimmpause gehabt.
Nach den 22 Vorstellungen in Schönebeck bin ich mit meiner Familie zu meiner Sippe in die Schweiz gefahren. Ich bin jemand, der sich sehr gut aktiv erholen kann, also mit moderatem Sport, Wandern und ähnlichem. So kam es, dass ich an einem Tag im Berner Oberland von Mürren auf das Schilthorn gewandert bin und dabei rund 1300 Höhenmeter überwunden habe. Wenn ich nicht gerade solche Touren gemacht habe bin ich joggen gegangen entlang der Emme oder habe kleinere familiengerechte Wanderungen unternommen. Kurz: Die Natur und Bewegung geben mir die schnellste Erholung.
Doch bereits in der zweiten Woche begann ich wieder zu singen, weil ich als Teilnehmerin einen Meisterkurs vorbereiten wollte mit neuem Repertoire und da gelangen wir bereits zur nächsten Möglichkeit, wie Künstler:innen/Musiker:innen ihre Sommerpause überbrücken können. Dazu eine kleine Anekdote aus meiner Studienzeit:
Meisterkurse
Etwas ratlos stand ich als 1. Semester Studentin vor dem schwarzen Brett, wo alle Termine und Daten standen. Ich sah, dass von Mitte Juli bis Anfang Oktober nichts war ausser "Semesterferien". Wow! Solange Urlaub? Das war gemessen an der Gymnasialzeit mit ihren 5 Wochen irgendwie unfassbar lang. Was sollte ich mit all der Zeit anfangen? Ein älterer Studienkollege sah mein ratloses Gesicht und meinte: "Diese Zeit ist dazu gedacht Meisterkurse zu absolvieren, oder Sprachen aufzubessern und nicht Urlaub in dem Sinne zu machen." Ja klar, dachte ich, das machen doch nur Streber...
Doch Tatsächlich ist die Sommerzeit gefüllt mit verschiedensten Festivals denen oft auch Meisterkurse angehören, die sehr interessant und bereichernd sein können.
Ich habe einige Meisterkurse absolviert und war auch als Gasthörerin anwesend. So in der Bachakademie in Stuttgart. Aktiv war ich in der Hugo-Wolf-Akademie bei Fischer-Dieskau und seiner Frau Julia Varady, oder bei Irvin Gage, ebenso wie bei Peter Konwitschni.
Diese Meisterkurse waren meistens so aufgebaut, dass jeder Teilnehmer:in eine halbe Stunde Vormittags arbeitete und eine halbe Stunde Nachmittags maximal. Daneben war man sich selber überlassen. Wenn man Glück hatte, konnte man noch Bekanntschaften knüpfen. Ich weiss noch, dass ich mich in Stuttgart schon recht einsam gefühlt habe nach dem Meisterkurs Tag. Was diesen Meisterkursen gemeinsam war, dass eigentlich kein Ensemblegeist, kein Zusammen entstand. Der Meister/die Meisterin vermittelte, was ihre Meisterschaft war und das wars.
Einen ganz anderen Meisterkurs durfte ich letztes und dieses Jahr besuchen und schätzen lernen, der begrenzt auf 10 Teilnehmer:innen, bestehend aus Sänger:innen und Dirigent:innen jeglicher Altersgruppe und Berufserfahrung, war/ist:
www.masterclass-badsaarow.de bei Kirsten Schötteldreier, ihrem Co-Coach, dem fantastischen Heldentenor, Burkhard Fritz, Qi-Gong Master Sifu Darryl Collett und den wunderbaren Pianisten Pawel Poplawski und Marcin Kozieł und natürlich Susanne Kreusch, die alles organisiert und die Fäden in der Hand hat. Ohne sie ginge gar nichts.
Unterstützt werden alle durch Kirstens Familie, ihren Sohn Wanja und ihren Mann Jan-Paul.
Kirsten hat über viele Jahre eine ganz eigene Herangehensweise an das Singen entwickelt. Sie kombiniert Qi- Gong mit der Gesangstechnik und das führt zu verblüffenden Resultaten.
Ihre Theorie ist es, dass alles was uns umgibt Energie, also Qi ist. Auch das Singen ist Qi. Warum soll man dann die Energie, die in unserem Körper ist, nicht ins Singen mit einbeziehen oder in Gesang umwandeln, so dass das Singen noch viel mehr Freude macht und uns nur bedingt anstrengt?
Die Arbeit am Qi verändert alles. Wenn das Qi ins fliessen kommt in uns, finden wir in unser seelisches aber auch körperliches Gleichgewicht zurück. Mir gelingt es dadurch meine Gedanken ganz klar zu fokussieren und mich auf das zu konzentrieren, was in dem Moment, im Jetzt wichtig ist. Früher ist es mir oft geschehen, dass ich meinen Fokus durch Kleinigkeiten verloren habe; ich liess mich sehr leicht ablenken. Mein Kopf plapperte unaufhörlich während ich sang. Echt anstrengend, mühsam und destruktiv.
Seit ich mit Kirsten arbeite und das ist nun etwas mehr als ein Jahr, passiert mir das immer weniger. Durch ihre Arbeit lerne ich, die Dinge um mich herum wahr zu nehmen ohne meinen eigentlichen Fokus zu verlieren. Ich schaffe es immer besser auf den Punkt im Jetzt zu sein, bei Konzerten, bei Vorsingen, bei Aufführungen.
Das Qi-Gong öffnet unsere Körperräume und verbindet sie gleichzeitig. Dadurch gelingt es mir immer mehr zu einer "Klangsäule" zu werden, die gefühlt durch den ganzen Körper geht und nahtlos von der tiefen Bruststimme in die oberen Kopftonregister übergeht, ohne, dass ich darüber nachdenken muss. Mein ganzer Körper wird zum Instrument, das klingt und meine Emotionen transportieren kann.
Der Kurs in Bad Saarow beginnt immer um 9.30Uhr unter der Anleitung von Darryl Collett. Er zeigt der Gruppe jeweils eine Qi-Gong Übung, die er anleitet.
Darryl ist ein stiller Beobachter mit hellwachen Augen. Wenn man ihn sieht, ist es wie wenn ein Licht aus ihm herausstrahlt. Er erkennt sofort wo in unseren Körpern Blockaden sind und weiss genau mit welchen Übungen wir ihnen entgegen wirken können. Jedem von uns gab er dieses Jahr eine Übung mit. Meine persönliche Übung soll ich noch für 3 weitere Monate jeden Tag einmal machen. Wie sagt Darryl mit einem verschmitzten Grinsen: "Qi-Gong is for lazy but smart People".
Ab um 10h gab es verschiedene Gruppenübungen, die uns auf die Bühne und das agieren auf der Bühne besser abstimmen soll. Wir verbesserten unsere Fähigkeit viele Dinge auf einmal wahrzunehmen ohne unseren eigenen Fokus zu verlieren. Gegen 11h ging es dann mit dem Singen richtig los. Entweder unter Aufsicht von Kirsten und Burkhard, oder einem von beiden oder auch mit Repetition mit den Pianisten, die mit uns unser Repertoire erarbeiteten.
In der diesjährigen Woche erarbeitete ich die Arien der Kaiserin aus "Frau ohne Schatten" von Richard Strauss neu. Diese Arien sind sehr anspruchsvoll und gleichzeitig wunderschön.
Jeder von uns sang mindestens eine Stunde pro Tag. Wir hatten die Möglichkeit und auch die Auflage möglichst viel bei den anderen Teilnehmer:innen zu hospitieren, was eigentlich alle von uns wahrnahmen. Es ist insgesamt eine sehr konstruktive und warme Atmosphäre. Das Schöne ist, dass es keine Konkurrenz zwischen den Teilnehmer:innen gibt, sondern viel mehr gegenseitige Unterstützung, viele konstruktive gute Gespräche. Ein reger, positiver Austausch untereinander.
Meistens gab es zwischen 13 und 14Uhr eine Stunde Mittagspause. Danach ging das Programm weiter bis Abends. Ich ging selten vor 19Uhr weg vom Eibenhof.
Dieses Jahr verbrachten wir viele Abende bei gutem Essen gemeinsam. Montag, Dienstag, ebenso wie Freitag, Samstag und Sonntag. Eigentlich waren es nur der Mittwoch und Donnerstag Abend, den wir für uns alleine verbrachten.
Der Sommer hatte die Landschaft mit seiner Hitze im Griff. Was für ein Glück, dass der Eibenhof auf einer Halbinsel im Scharmützelsee liegt. Ich nutzte jeden Tag und ging Schwimmern, Standuppaddeln. Manchmal alleine, manchmal gemeinsam mit den anderen.
Es entstand in dieser Woche ein wunderbarer Zusammenhalt, der auch über diese Woche hinaus halten wird.
Am Freitag kam zum zweiten Mal ein Agent, der die Teilnehmer:innen anhörte und ein konstruktives Feedback gab und einige von uns unter seine Fittiche nehmen wird.
Den Abschluss dieser intensiven Woche, die von Montag bis Sonntag dauerte, bildete ein Arbeitskonzert, das am Sonntag um 16h stattfand.
Nach diesem, zugegebenermassen, langen Konzert sassen wir noch lange bei schönem Essen, guten Getränken und noch besseren Gesprächen zusammen.
Wir gingen alle gestärkt auseinander. Gestärkt sowohl im Gesang, als auch in der Energie, die uns diese Woche umgeben hat.
Ich bin sehr dankbar, dass ich dieses Jahr wieder dabei sein durfte und bin noch mehr gespannt, was sich daraus in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird. Die Arbeit am Qi klingt nach und die Wellen, die das Qi auslöst gelangen erst viel später ans Ufer unserer Seelen...
Hier noch ein paar Impressionen meiner Wanderung von Mürren auf das Schilthorn:
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