Foto: Eigene Quelle
Donnerstag 17.September 2020
Heute ist ein besonderer Tag für mich. Ich singe das erste öffentliche Konzert mit Publikum seit dem Lockdown im März. Wenn ich mich in den social Media Landschaften umsehe, stelle ich mit Freude und Erleichterung fest, dass seit ungefähr Mitte August das Kulturelle Leben auch bei Kolleg*innen wieder erwacht. Der Lockdown, der die meisten von uns 6 Wochen betraf hat uns Künstler*innen fast ein halbes Jahr arbeitsmässig und finanziell eingeschränkt. Ein halbes Jahr ohne Konzerte, Auftrittsmöglichkeiten. Während für fast alle anderen das "normale" Leben zurückkehrte kämpfen wir nach wie vor mit den folgen der Pandemie...
Heute nun der Tag an dem auch dieser Blog seiner eigentlichen Bestimmung gerecht werden soll. Meine ursprüngliche Idee war, dass ich in meinen Beiträgen über die Konzerte, Aufführungen, Komponisten und manchmal auch meinen Alltag erzähle. Nun haben sich die Verhältnisse notgedrungenermassen verschoben und ich hoffe sehr, dass sich das jetzt immer mehr ändern wird!
Zur Zeit bin ich in Amberg. Amberg ist eine wundervolle, schön gepflegte Stadt in der Oberpfalz in Ostbayern. Sie zählt zur Metropolregion Nürnberg. Bereits 1034 urkundlich erwähnt besitzt Amberg einen der besterhaltenen mittelalterlichen Stadtkerne.
Zahlreiche schöne Kirchen und Gebäude sind zu bewundern unter anderem der Wallfahrtsort Maria Hilf, etwas über der Stadt.
Amberg ist reich an Kultur. Vielerorts kann man Skulpturen bestaunen und Museen besuchen. Seit 1803 besitzt Amberg auch ein eigenes Stadttheater. Dazu wurde die ehemalige gotische Kirche St. Bernardin umgebaut. Das Stadttheater hat kein eigenes Ensemble, wird aber regelmässig bespielt mit Konzerten, Theateraufführungen und anderen Kulturveranstaltungen.
Fotos: Eigene Quelle
Hier kam vor 100 Jahren am 1.4.1920 Heinrich Ernst Erwin Walther, besser bekannt als H.E.Erwin Walther. Eigentlich sollte eine ganze Konzertreihe mit seinen vielfältigen Werken verteilt über das Jahr stattfinden. Nun macht das heutige Konzert, das eigentlich als Abschlusskonzert gedacht war, den Anfang.
Bereits im Alter von 4 Jahren begann die musikalische Ausbildung von Walther durch seinen Vater. Schon früh komponierte er eigene Werke und führte die Stücke mit Erfolg auf.
Er war sehr aufgeschlossen gegenüber zeitgenössischer Musik und studierte alle Stücke, die er irgendwie bekommen konnte von Ravel, Debussy, Mahler, Schönberg, Hindemith. Alles andere als eifach an die Noten zu kommen und nicht ganz ungefährlich in dieser Zeit, da viele der Komponisten, die Walther sehr schätzte zu den "entarteten" Künstlern gehörten.
Nach seinem Abitur 1938 bestand H.E.Erwin Walther die Aufnahmeprüfung an die Hochschule für Musik in Würzburg mit einer eigen komponierten Violinsonate. Er studierte dort Dirigieren, Komposition, Klavier und im Nebenfach Bratsche in der Meisterklasse von Hermann Zilcher.
Nach erfolgreichem Examen mit der Uraufführung seines eigenen Klavierkonzerts 1941 wurde er sogleich in das Musikkorps der Wehrmacht eingezogen. 1942 erlitt er eine schwere Verwundung, so dass er deswegen 1943 entlassen wurde.
1944 heiratete er Maud Schunk. Leider musste er von 1945-1947 ins Internierungslager Moosburg. In der Zeit kam sein Sohn zur Welt.
Ab 1949 konnte dann seine vielfältige Laufbahn als Musiker endlich richtig beginnen. Er trat als Pianist im Studio Nürnberg mit Schwerpunkt "Improvisation" auf. Bald schon widmete er sich parallel zu seinem Schaffen im Bereich der Bühnen- und Filmmusik auch als Pädagoge dem musikalischen Nachwuchs mit der Gründung seines eigenen Klavierstudios.
Was das Schaffen von H.E.Erwin Walther auszeichnet ist eine grosse Leidenschaft, Vielfältigkeit und Kreativität. Er hatte keine Berührungsängste zwischen den verschiedenen Stilistiken. Für ihn gab es einfach Musik. So entstanden bis zu seinem Tod am 1.1.1995 zahlreiche Werke, darunter über 300 Audiogramme, also Graphische Musik. Musik die Aussieht wie ein Gemälde und das den jeweiligen Interpreten grosses Können, Timing im Zusammenspiel und Kreativität abverlangt. Weiter gehören zu Walthers Nachlass zahlreiche Lieder, Sprechlieder, Sonaten, Chorwerke, Instrumentalwerke und und und. Heute zählt man Walther durchaus zu den Künstlern der Avantgarde. Er war stets sehr skeptisch gegenüber dieser Bezeichnung und mochte sie scheinbar nicht besonders.
Über sein Schaffen sagte er:
„Irgendwie bin ich als Komponist ein bunter Vogel. Viele von Ihnen kennen vielleicht ein paar Federn meines Kleids; die Farbskala reicht aber von der Spätromantik, impressionistische und expressionistische Exkursionen zu Zwölfton- und audiovisueller Musik, vom Kunstlied zum Chanson, zum Kabarett und zum Kinderlied, von Musiken zu Werkfilmen bis zum großen Fernsehfilm, von der bayrischen Folkloristik zur scheinbaren Chaotik. Aber was ich auch geschrieben habe: Ich habe immer Spaß daran gehabt.“ – H. E. Erwin Walther
(Quelle Wikipedia)
Den Spass spürt man als Musiker in seinen Werken stets. Er komponierte mit einer grossen Ernsthaftigkeit die gleichzeitig gepaart war mit Schalk und Humor, wie zum Beispiel in seinen Sprechliedern. Seine Werke, die ich bis jetzt kennen lernen durfte zeichnen sich aus durch eine grosse Kreativität, sphärischer Klanggebung gebunden an das jeweilige Gedicht. Er schafft für den Interpreten einen grossen Freiraum, den es zu füllen gilt. Viele seiner Lieder sind nicht streng rhythmisch gebunden. Manche Töne werden gehalten, manche dem Sprachrhythmus nachempfunden. Es ist ein akribisches Zusammenspiel mit dem Pianisten. Man interpretiert nicht einfach Lieder, sondern schafft Klangbilder.
In meinem Fall habe ich grosses Glück einen Meister der zeitgenössischen Interpretation an meiner Seite zu haben mit Frank Gutschmidt. In den 6 Liedern nach Gedichten von Thomas Emmerig greife ich auf die ganze spannbreite meiner stimmlichen Farbpalette zurück. Von fff zu ppp. Von Vibrato zu non Vibrato. Von dramatisch zu leichtfüssig. Der Tonumfang dieser Lieder bewegt sich über zweieinhalb Oktaven. Für mich als Sängerin eine Herausforderung.
Dass das vielfältige Schaffen dieses bemerkenswerten, zeitgenössischen Komponisten nicht in Vergessenheit geraten ist und gerät, hat er seiner engagierten Tochter Michaela zu verdanken. Sie kümmert sich um den Nachlass. Sie hat es in den letzten Jahren geschafft eine Vielzahl der Noten zu verlegen und CD-Produktionen organisiert um einen kleinen Teil des Schaffens ihres Vaters zum klingen zu bringen.
Heute Abend werden nun im Stadttheater Amberg unter dem Titel "...und singen in den Farben dieses Augenblicks..." Stücke für Klavier solo, Klavier und Klarinette, Klavier und Sopran, Graphiken für Klarinette und Klavier erklingen. Mit Frank Gutschmidt, Klavier, Ib Hausmann, Klarinette und mir als Sopran.
Ich freue mich darauf...
Nachtrag
Freitag, 18.September.2020
Die Probe und das Konzert waren ein tolles Erlebnis für mich. Alle Plätze, die belegt werde durften, waren besetzt. Das Publikum war die 70 Minuten lang hochkonzentriert und haben den Stücken gebannt gelauscht. Das alles ohne Pause, wie es die Coronaverordnung verlangt.
Wir Musiker haben sehr spontan beschlossen, dass wir die letze Graphik zu dritt gestalten. Das war für mich Neuland, aber sehr spannendes Neuland! Graphiken setzten Improvisation, Phantasie, Kreativität und wenn man sie zusammen gestaltet auch absolutes aufeinander hören und gegenseitige Reaktion voraus. Mit Ib Hausmann und Frank Gutschmidt kein Problem. Wir hatten viel Spass dabei. Die Gespräche hinterher waren sehr interessant und vielfältig.
Heute fuhr ich dankbar und mit sehr vielen, bereichernden und positiven Eindrücken zurück nach Berlin!
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