Bis eine Oper als Première (1. Aufführung mit Bühnenbild, Kostümen, Maske, Regie) auf der Bühne präsentiert wird dauert es Wochen.
Regisseure und Bühnenbauer/Bühnenbildner haben einen noch viel längeren Vorlauf als wir Sänger. Manchmal sitzt ein Regisseur*in ein Jahr oder länger über einer Oper bis er/sie genau weiss, wie sie/er das Stück auf der Bühne mit den Sängern erzählen will. Hat sie/er eine genaue Vorstellung werden mögliche Bühnenbilder erarbeitet und mit den betreffenden Personen des Theaters besprochen und nach den jeweiligen Möglichkeiten (Finanzen, Bühnengrösse etc.) umgesetzt. Jeder Regisseur*in arbeitet ausserdem mit einem Ausstatter*in zusammen. Diese sind zuständig für die jeweiligen Kostüme der Protagonist*innen, also quasi Kostümdesigner. Sie bestimmen, ob eine Sängerin auf der Bühne Schmuck tragen darf und welchen Schmuck sie trägt. Dasselbe gilt für Nagellack und ähnliches. Auf der Bühne hat Privates nichts verloren und wird auch nicht gerne gesehen. Deswegen werden vor den Vorstellungen alle privaten Sachen wie Schmuck, Piercings etc. in der Garderobe abgelegt. Die Kostüme werden in der Schneiderei des jeweiligen Theaters hergestellt. Manchmal werden auch Kostüme aus dem Fundus geholt und entsprechend angepasst. Der/die Ausstatter*in bespricht mit den Maskenbildnern das Make-up (eben die Maske) der jeweiligen Protagonisten. Perücken werden entsprechend der Rolle ausgesucht und genauestens angepasst, so dass aus einem Rotschopf wie mir beispielsweise eine Blondine werden kann.
Für uns Sänger*innen beginnen die szenischen Proben 4-6 Wochen vor der Première. Bei Wiederaufnahmen werden uns oft nur 2-3 Tage zum wiederholen und auffrischen gegeben.
Nach der Konzeptionsbesprechung, wo das Bühnenbild, die Regieidee allen Beteiligten vorgestellt wird, manchmal auch noch historische Hintergründe, die vom Dramaturgen erläutert werden, ist oftmals mein erster Gang in die Schneiderei um die entsprechenden Bühnenschuhe zu besorgen, die ich für die Proben benutzen darf. Es ist für mich ein grosser Unterschied, ob ich auf Highheels oder auf flachen Schuhen auf der Bühne stehe und singe.
Die Muskelspannung ist mit der Höhe des Absatzes unterschiedlich, ganz abgesehen vom Gang. Geprobt wird meistens in privaten Kleidungsstücken. Manchmal, wenn wir Sängerinnen beispielsweise einen Reifrock tragen sollen, wird das Gestell des Reifrockes schon während der Proben benutzt, oder es gibt auch von der Schneiderei ein Probekostüm, damit wir Sänger*innen ein Gefühl für das Kostüm und das Spielen und Singen im Kostüm entwickeln können. Das ist wirklich hilfreich.
Ich versuche, wenn nötig, auch positiven Einfluss auf die Schneiderei und die Maske zu nehmen, damit ich mich in den Kostümen und den Perücken der Rolle entsprechend bewegen kann. Einmal hatte ich zum Beispiel eine Perücke, deren Haare bis fast auf den Boden reichten und damit sollte ich ständig aufstehen und mich wieder auf die Bühne, die schräg war, hinlegen. Natürlich verhedderte ich mich pausenlos in den Haaren und riss mir damit fasst die Perücke vom Kopf. Ich bat den Regisseur daraufhin, dass die Haare bis zu meiner Kniekehle gekürzt werden sollten, damit sie keine Stolperfalle für mich darstellten. Ich hatte Glück und der Regisseur willigte ein, was nicht immer der Fall ist.
Es ist wünschenswert, dass wir für die szenischen Proben alles auswendig können.
Wenn Sänger*innen fest angestellt sind, also zum Ensemble gehören, werden die Rollen mit einem Korrepetitor (Pianist) einige Wochen im Vorfeld erarbeitet. Als Gast wäre es auch wünschenswert einige Proben mit einem Korrepetitor im Vorfeld zu haben, bekommt man aber nicht immer. Man muss sich oft selber um die Vorbereitung kümmern und entsprechend mit einem Korrepetitor seiner Wahl arbeiten, natürlich auf eigene Kosten. Am besten sollte man seine Arien kennen. Die werden im Verhältnis weniger geprobt, als die Duette, Terzette und Ensembles.
Die szenischen Proben finden auf der Probebühne mit Klavier statt. Oft haben wir zu Beginn Ersatzrequisiten.
Geprobt wird selbstverständlich nach Probeplan, der vom Regisseur und seinem Assistenten festgelegt wird. Der grobe Probeplan, wann die Bühnenhauptproben, Generalproben stattfinden, steht meistens im Vorfeld schon fest, nicht aber wann welche Szene genau geprobt wird. Die Sänger*innen erfahren erst nach dem Mittag, welche Szenen am nächsten Tag geprobt werden. Wer es liebt seine Wochen detailliert vorzuplanen ist am Theater an der falschen Adresse...
Die Probezeiten, die ich kennengelernt habe sind Montag bis Freitag von 10.00Uhr- 14.00Uhr und von 18.00Uhr - 22.00Uhr und Samstag von 10-14Uhr, Sonntag ist Proben frei, oftmals finden aber Vorstellungen statt. Wenn man eine Hauptrolle singt und der Regisseur die ganze Probezeit ausnutzt, hat man also mitunter eine 44 Stunden Woche. Das kommt zum Glück nicht so oft vor, aber ich habe es erlebt, als ich Hauptrollen gesungen habe. 8 Stunden Bühnenproben schlaucht und setzt eine sehr gute Grundkondition, sowohl stimmlich, als auch körperlich voraus. Es ist, je nach Rolle, mit 8 Stunden leichtem Aerobic vergleichbar. Unter anderem deswegen bewege ich mich in meiner Freizeit viel und gerne und versuche regelmässig joggen zu gehen, damit ich fit, aktiv und gesund bleibe. Am Theater gibt es nicht "Freizeit" sondern es werden "Ruhezeiten" eingehalten. Diese sind nach dem Bühnenvertrag genau geregelt, was sehr wichtig ist, wenn man sehr spät Abends von einem Gastspiel des Theaters (einem Abstecher) zurückkommt, oder am Haus eine Aufführung hatte. In der Zeit vor oder nach der Vormittagsproben wird man häufig in die Schneiderei oder in die Maske gebeten um die Kostüme oder die Perücke anzuprobieren.
Es erklärt sich von selbst, warum viele Künstler*innen einen etwas verschobenen Tagesrhythmus haben, ausser sie haben Schulpflichtige Kinder. Oftmals sind die Aufführungen um 22Uhr oder später zu Ende. Vom Adrenalin ist man noch längere Zeit aufgekratzt, so dass man den Schlaf erst recht spät findet, meistens gegen Mitternacht. Wenn man um 10Uhr dann Proben hat und singen soll, sollte man spätestens zwischen 7 und 8Uhr aufstehen, damit der Kreislauf im Gang ist und die Stimme läuft. Die Nächte sind also nicht so lange. Und Abends müssen wir ab 19.00Uhr zu Hochform auflaufen für die Vorstellungen. Die meisten Sänger gewöhnen sich deswegen eine Mittagsruhe an. Mit Kindern manchmal schwierig zu realisieren...
Auf die richtige Bühne mit den richtigen Requisiten geht es meistens erst zu den Endproben. Zu dem Zeitpunkt ist dann das Orchester auch anwesend. Diese werden Bühnenproben bzw. Orchesterhauptproben genannt. Davon gibt es 2-3 Stück, dann kommt die Hauptprobe und zum Schluss die Generalprobe. Während dieser Endspurtphase sind alle anwesend: Regisseur, Schneiderei, Maske, Bühnenbildner, Ausstatter, Tonmeister, Dirigent, Technik, Protagonisten, Requisiteure, Inspizient*in, Soufflage, Dirigent*in, Garderobieren, Neugierige ;) etc. Letzte Lichtkorrekturen der Beleuchtung werden perfektioniert, Masken, Perücken und auch Kostüme angepasst. Requisiten nochmal ausgetauscht oder verbessert. Gänge werden gefestigt, manchmal auch verändert. Meistens steigt in dieser Zeit die Spannung fast ins Unerträgliche.
Meist auch eine Zeit wo Konflikte offen ausbrechen. Kurz: Gute Nerven sind gefragt und alle sind froh, wenn der Premieren Tag da ist und die Premiere erfolgreich über die Bühne läuft.
Vor der Premiere werden kleine Geschenke ausgetauscht. Alle wünschen sich gegenseitig toi toi toi. Wichtig ist auch, dass man niemanden vergisst, was manchmal gar nicht so einfach ist...
Nach der Première gibt es eine Premièrenfeier, wo eine Kleinigkeit getrunken und gegessen wird zusammen. Es werden Ansprachen gehalten. Meistens vom Regisseur, manchmal vom Operndirektor, oder auch vom Intendanten, manchmal von allen, je nach dem. Nach der grossen Anspannung folgt eine grosse Entspannung, bevor es in die nächste Produktion geht.
Vor den darauf folgenden Vorstellungen wird nicht mehr szenisch geprobt. Manchmal musikalisch, wenn man an der einen oder anderen Stelle unsicher ist, oder eine sehr lange Pause zwischen den Vorstellungen liegt.
Es ist nicht immer leicht alle Rollen, Bühnengänge etc. im Kopf zu behalten und richtig umzusetzen. Das spannende an den Aufführungen ist zu beobachten, wie sich das Spiel zwischen den Protagonisten weiter entwickelt. Jede Vorstellung nehme ich mir etwas anderes vor, was ich gerne ausprobieren und verbessern möchte in dem mir vorgegebenen Rahmen.
Ich finde Probenarbeit sehr spannend und bereichernd. Es ist für mich ausserordentlich interessant die jeweilige Figur zu gestalten und heraus zu arbeiten und sie dann auch den Vorstellungen des Regisseurs anzugleichen. Im Idealfall formt der Regisseur mit dem jeweiligen Protagonisten zusammen seine Figuren heraus, die er in seine Konzeption einfügt.
Als junge Sängerin hatte ich das grosse Glück Peter Konwitschni bei der Arbeit mit Sängern zu erleben. Selbst Sänger, die nicht besonders schön klangen, begannen unter seiner Regie zu klingen aus der Figur und dem Schauspiel heraus. Das war für mich sehr faszinierend zu beobachten. Konwitschni arbeitet nach Partitur. Er weiss genau, welches Instrument wo mitspielt, welche Emotion es symbolisiert. Er weiss auswendig, wo welche Ziffer ist, welcher Text, der Sänger*in zu singen hat und was er bedeutet. Er hat die Stücke verinnerlicht und setzt sie daraus in Szene. Das war für mich sehr beeindruckend.
Mit solchen Regisseuren ist es für mich eine Freude zu arbeiten.
Ich hoffe sehr, dass für uns freiberuflichen Sängerinnen und Sänger sich bald wieder Möglichkeiten zeigen, trotz der Corona-Krise, teil der Produktionen an den Openrhäsuer zu werden!
Bild: Jörg Metzner
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