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Burgdorf, Schweiz

Der Krieg in der Ukraine und sein Einfluss auf unser Kulturleben

Das Unfassbare ist geschehen

Noch zu Beginn des neuen Jahres haben wir hoffnungsfroh auf dieses Jahr geblickt, in der Hoffnung auf eine für uns alle bessere Zukunft, wo wir die Pandemie endlich hinter uns lassen und in eine bessere Zeit gelangen mögen mit mehr Freiheit und vielleicht auch einfach wieder mehr Unbeschwertheit und mehr Normalität, wo die Inflation auch etwas abklingen würde.

Wer von uns hätte damit gerechnet, dass ein neuer Krieg in Europa ausbrechen würde?

Ich habe bis zuletzt gehofft, dass Russland die Ukraine nicht kriegerisch angreifen würde, dass vielleicht einmal die Politiker, in dem Fall Putin und sein Gefolge, etwas aus der Weltgeschichte gelernt hätten, dass Krieg sinnlos ist und ausser Tod und Verzweiflung nichts bringt (ausser der Rüstungsindustrie) und noch nie gebracht hat. Leider habe ich mich getäuscht.

Ich glaube, es geht um viel mehr als nur darum, dass Russland Ansprüche auf die Ukraine erhebt. Für die Ukraine steht ihre Existenz und Zukunft auf dem Spiel, ihre mühsam erworbene, noch junge Demokratie.

Die Ukraine und Russland sind trotz allem eng miteinander verwoben. Es gibt kaum einen Russen, der nicht Verwandte oder Freunde in der Ukraine hat und umgekehrt, das macht die Lage noch schwieriger und tragischer.

Meines Erachtens ist es auch sehr wichtig, dass wir ganz klar zwischen Putins Politik und dem restlichen Russland und der russischen Bevölkerung unterscheiden. Gerade in den grossen Städten gehen sehr viele, mutige Menschen (meistens die gebildete Mittelschicht) auf die Strassen und demonstrieren gegen diesen unnötigen Krieg, trotz eines massiven Verbots und harten Bestrafungen Seitens der Politik. Die drei W (world wide web) werden in Russland die Tage massiv eingeschränkt, so dass es der Bevölkerung immer schwerer gemacht wird sich über unabhängige Medien zu informieren. Der russischen Bevölkerung werden immer mehr Rechte genommen, viele, die können, verlassen das Land, weil sie befürchten, dass das Kriegsrecht verhängt werden könnte. Die Frage ist nun, wann sich die wirtschaftlichen Sanktionen im ganzen Ausmass offenbaren wird und was das dann mit der ohnehin schon armen Bevölkerung machen wird. Je länger ich darüber nachdenke umso klarer erscheint mir, dass dieser Krieg nur Verlierer haben wird, egal wer ihn gewinnt. Die Verlierer finden wir in der Gesellschaft, die verarmt, in den Toten und Verletzten, in den zerstörten Häusern und nicht zuletzt in der Kunst und Kultur. Je länger dieser Krieg andauert umso mehr wird Russland sein Gesicht verlieren und sein Ansehen in der Welt für sehr lange Zeit beschädigen, ganz zu schweigen von der Wirtschaft, die am Boden sein wird.


Der Aufschrei in der ganzen Welt ist zu Recht gross. Manche Politiker sagen, dass es seit dem Ende des 2. Weltkriegs keinen Krieg mehr gab in Europa. Das ist leider falsch. Es gab sowohl immer wieder den kriegerischen Konflikt in Zypern nach 1945, als auch den Krieg in Ex-Jugoslawien von 1991-2001. Angesichts der Geschehnisse in der Ukraine dürfen wir diese Kriege nicht vergessen. Auch sie forderten viele unschuldige Opfer. Unschuldige Menschen, die ihr Leben, ihre Heimat verloren haben. Die Wunden, die durch die Gewalt in diesen Ländern aufgerissen wurden, sind noch lange nicht verheilt, auch wenn erst mal der Frieden wieder hergestellt ist. Noch immer gibt es zu viele Familien, die Angehörige verloren haben, die keine Männer zwischen 30 und 70 Jahren mehr haben, weil sie dem Krieg zum Opfer gefallen sind. Die traumatisiert sind durch die Grausamkeit des Krieges, die Zeuge geworden sind von unfassbaren Gräueltaten und die begreifen mussten, wozu Menschen fähig werden, wenn sie sich im Krieg befinden. Gerade für meine Generation, die in "stabilen" demokratischen Ländern wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz aufgewachsen sind dürfte dies absolut jenseits unseres Vorstellungsvermögens liegen.

Und nun ist ein neuer Krieg da, der sich schleichend entwickelt hat und dessen Sinn man wirklich hinterfragen kann und darf. Was will Putin mit diesem Krieg bezwecken? Hat er sich verkalkuliert? Hätte er mit der härte und schnelle solcher Sanktionen gerechnet? Wir wissen es zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Wir kennen den Ausgang dieses Konflikts noch nicht und trotzdem hat er jetzt schon grosser Auswirkungen auf unser Alltagsleben aber auch auf die Kultur.


Socialmedia und der Krieg

Immer wenn etwas "Neues" geschieht, was die Welt bewegt, zeigt sich das sehr bald auf den Socialmedia. Ich persönlich finde es recht spannend zu sehen, wie die Menschen Anteil nehmen oder eben nicht. Doch können wir einfach so weiter machen wie bisher, wie wenn nichts wäre? Können wir unsere Scheinwelten auf Socialmedia weiterhin so weiterlaufen lassen, wie bisher? So nach dem Motto "Ich bin ja unpolitisch"? Ich finde das einerseits eine schwierige und gleichzeitig eine spannende Frage.

Was bedeutet "unpolitisch" genau? Dass man keine Stellung zu politischen Themen nimmt? Oder dass man keine eigene Meinung zu gewissen Themen hat?

Ich kenne eigentlich keinen erwachsenen Menschen, der keine Meinung hat und meines Erachtens bezieht man in dem Moment durchaus auch eine politische Stellung. In unserer Gesellschaft sind die Grenzen sehr fliessend.


Viele Musiker:innen behaupten von sich "unpolitisch" zu sein. Musik hätte nichts mit Politik zu tun. Dem möchte ich widersprechen. Musik ist durchaus politisch, besonders jene Musik, die in der Zeit nach der französischen Revolution entstanden ist im späten 19. und 20. Jahrhundert.

Die Zeit der Aufklärung hat den Menschen politisch aktiviert. Vorher wurde das Feudalsystem als Gott gegeben hingenommen. Doch mit der Aufklärung kam Leben und Mut in die Menschen. Revolutionen entstanden und brachen über Europa wie ein Sturm herein, beginnend mit der blutigen, französischen Revolution. Meistens weisen bis heute tricolor Fahnen der jeweiligen Nationen auf Revolutionen in deren Geschichte hin, aber das so nebenbei.

Nicht nur die Menschen wurden politischer sondern auch die Musik, die geschrieben wurde. Doch Musik enthielt nicht nur politische Botschaften, wie etwa bei Dimitri Schostakowitsch, oder beim bekennenden Pazifisten Benjamin Britten, sondern sie wurde leider auch politisch missbraucht. Man bedenke nur wie lange es brauchte bis der Komponist Richard Wagner nicht mehr nur mit dem 3. Reich verbunden, sondern als Genie anerkannt wurde, der "Pech" hatte, dass der Führer seine Musik zu schätzen wusste und dass diese Tatsache von Richard Wagners Nachkommen genutzt wurde. In dem Moment waren sowohl die Töchter von Richard Wagner, als auch insbesondere die Schwiegertochter Winifried Wagner politisch aktiv. Wie wir heute wissen, ist Winifried Wagner bis zu ihrem Tode Hitler treu geblieben und das trotz entnazifizierungs Verfahren usw.

Die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels, das Richard Wagners Werk bis heute überschattet dürfte noch nicht endgültig abgeschlossen sein und er ist nur ein Beispiel von vielen.


Doch wie verhält es sich mit den Interpret:innen? Sind sie politisch oder eben unpolitisch?

Diese Frage lässt sich nicht ganz abschliessend und endgültig beantworten und muss meines Erachtens immer von Fall zu Fall betrachtet werden. Doch scheint es, dass ein offensichtlich neues Kapitel aufgerollt wird im Hinblick auf den Ukraine Krieg. Die Zeit der politischen Schonfrist für die Interpret:innen ist vorbei. Länder, denen die Demokratie ein wichtiges Gut ist, verlangen, dass gerade Russische Musiker:innen und Interpret:innen klar Stellung beziehen zum Ukraine Krieg und der Politik Putins.

Einer der ersten, der dies zu spüren bekommen hat, ist Valery Gergiev. Seine Verträge für renommierte Konzerte und Opernaufführungen im Westen wurden weitgehend aufgelöst.

Er gilt als "Freund" Putins und hat in der Vergangenheit immer wieder das Vorgehen der russischen Regierung befürwortet. Zuletzt bei der Annektierung der Krim 2014.

Ähnlich ergeht es der Starsopranistin Anna Netrebko. Zwar verurteilt sie auf Instagram klar den Krieg, bezeichnet sich selber als "unpolitisch", hat sich bisher aber nicht von Putin und seiner Politik in irgendeiner Weise distanziert.

Ich weiss ehrlich gesagt nicht, ob jemand wirklich so "unpolitisch" ist, wenn er sich kurz nach der Krim Annektierung dort zeigt in den entsprechenden Klamotten und seinen 50. Geburtstag im Kreml feiert wie es Frau Netrebko getan hat...soviel zum Thema "Ich bin so unpolitisch". Bei ihr wurden die Verträge teilweise von den Veranstaltern gekündigt und einen grossen Teil hat sie selber gekündigt mit der Begründung, dass sie im Moment nicht in der Lage sei in der jetzigen Situation zu singen und es unangebracht fände.

Viele Kulturkenner sagen, dass wer im legendären Mariinski-Theater auftreten wolle nicht um den Gergiev-Clan herumkomme (Gergiev ist seit 1996 Intendant dort) und somit eine Verstrickung in die Welt der Mächtigen Russlands unumgänglich sei. Ein Arabisches Sprichwort sagt "Küsse die Hand, die Du nicht abhacken kannst". Vielleicht geht es gerade diesen beiden Künstlern so ähnlich, dass sie sich nicht von der Politik Putins distanzieren können und wollen, weil sie dann ihre Förderer vor den Kopf stossen und womöglich ihre Verwandten, die in Russland leben, gefährden. Wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass Gergiev und Netrebko in der Kultur durchaus Aushängeschilder Russlands sind und ich denke, dass sowohl ihre Förderer, als auch sie selber zu einem grossen Teil davon profitiert haben, bis jetzt. Und wie den beiden, wird es wohl noch vielen weiteren Künstler:innen ergehen. Dies dürfte für einige Künstler:innen wahrscheinlich der Anfang vom Ende ihrer westlichen Karrieren bedeuten.

Dass Russland nicht nur wirtschaftlich sanktioniert wird, sondern auch in allen anderen Bereichen, wo es einer stolzen Nation weh tut, ist eine logische Konsequenz.

In meinen Augen würde Europa und die restliche westliche Welt sich unglaubwürdig machen, wenn sie in der Kultur alles einfach weiter laufen liessen, wie bisher.

Unzählige Russische Künstler:innen äussern sich ganz klar zum Krieg in der Ukraine und zu Putins Politik, so etwa Kirill Petrenko, Chefdirigent der Berliner Philharmonie.

Petrenko sagt: »Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt. Es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet. Ich bin zutiefst solidarisch mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und kann nur hoffen, dass alle Künstlerinnen und Künstler für Freiheit, Souveränität und gegen die Aggression zusammenstehen werden.«

Fazit

Gerade in der heutigen Zeit, ist es meines Erachtens, wichtig klar Stellung zu gewissen Themen zu beziehen, die unsere Gesellschaft wirklich bewegen.

Durch Social Media ist unsere Welt eine andere geworden. Nicht nur Fakenews verbreiten sich rasend schnell, wie wir immer wieder während der Pandemie erleben konnten, oder während des Wahlkampfs in Amerika, auch klare Meinungen und Solidarität kann sich so verbreiten und vielleicht ein wenig Licht in unsere zur Zeit dunkle Welt bringen, wenn wir sie richtig nutzen. Wir können uns und unsere Werte über diese Netzwerke stärken oder schwächen. Die Frage ist wofür wir uns entscheiden und das gilt meines Erachtens nicht nur für Menschen mit "normalen" Berufen sondern vor allem für Menschen, deren Beruf sie in die Öffentlichkeit trägt. Musiker:innen, Künstler:innen (Politiker:innen sowieso) haben eine Verantwortung als Personen des öffentlichen Lebens, heute mehr denn je. Jede und Jeder von uns kann etwas bewegen und wenn es ist, dass wir eine Meinung von vielen sind. Wenn unzählige Regentropfen sich vereinen entsteht irgendwann ein See oder gar ein Ozean.


Ich bin dankbar, dass wir Künstler:innen und Musiker:innen wieder die Bühnen nutzen dürfen. Die letzten beiden Jahre war das schwierig. Die Pandemie war eine riesige Herausforderung insbesondere für uns Freiberuflichen. Kaum scheint die Pandemie unser Leben nicht mehr zu sehr zu beeinflussen, kommt die nächste Herausforderung auf uns zu, doch diesmal sind uns die Hände nicht gebunden und es zeigt sich welche Kraft die Kultur entfalten kann: Ich habe noch nie so viele Konzerte und Aufführungen zugunsten eines Ereignisses gesehen, wie jetzt bei diesem Krieg. Die Gelder, die dabei eingenommen werden gehen an die Bevölkerung der Ukraine, die dabei ist alles zu verlieren, was sie haben und trotzdem kämpfen und ihre Werte verteidigen. Europa und grosse Teile der Welt unterstützen die Ukraine mit einer grossen Entschlossenheit und Solidarität wie sie lange nicht da war, die sich in unzähligen Demonstrationen für den Frieden, Konzerten, Beleuchtungen in den Landesfarben der Ukraine, Spendenaktionen und vielem mehr widerspiegelt.

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass all diese Aktionen und gemeinsamen Anstrengungen nicht ins Leere laufen mögen, sondern uns allen zeigen, was geschehen kann, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen und solidarisch zusammen stehen.

Möge der Tag des Friedens so schnell wie möglich kommen und das Dunkle hinter sich lassen und das bitte nicht nur in Europa, sondern auch in anderen vom Krieg zerrütteten Regionen!




Und wer für die Ukraine spenden möchte, hier ein paar Adressen:


Ärzte ohne Grenzen:


Diakonie:


Caritas:


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