Aus dem Gedichtzyklus Frauenlieben und -leben: Bearbeitung von Lis à Lis:
3.
Ich kann es nicht fassen nicht glauben, Ich kanns nicht fassen nicht glauben
Es hat ein Traum mich berückt Mir liegen Steine im Weg
Wie hätt er doch unter allen Bin unterdrück und gefangen
Mich Arme erhöht und beglückt Im patriarchalen Geheg
Mir wars er habe gesprochen Mir wird jetzt erst bewusst
Ich bin auf ewig dein Ich bin nur mitgemeint
Mir wars- ich träume noch immer- Ganz männlich ist unsere Sprache
Es kann ja nimmer so sein Mein Lohn ist immer noch klein,
Das darf doch wohl nicht sein.
O lass im Traume mich sterben Entscheid ich mich für Karriere
Gewiegt an seiner Brust So traust du es mir nicht zu
Den seligen Tod mich schlürfen Ich muss mich doppelt beweisen
in Tränen unendlicher Lust Muss doppert so gut sein wie du
Ich kann es nicht fassen nicht glauben
Bins leid nur schön sein zu müssen
Zum Sexobjekt gemacht
Mit Gewalt für mein Frausein
zu büssen
Die Melodien sind die uns bekannten von Frauenliebe und -leben. Schumann (1810-1856) hat den Gedichtzyklus, ausser das allerletzte Gedicht, von Adelbert von Chamisson (1781-1838) 1840 vertont. Die Texte wurden von Lis à Lis komplett umgearbeitet und mit einer völlig anderen Aussage neu präsentiert. Das Duo wird dafür gefeiert, dass sie diesen "sexistischen" und "patriarchalen" altmodischen Text ihren heutigen Bedürfnissen und Lebensgefühl angepasst haben.
Für mich als Sängerin und Interpretin stellt sich die Frage: Ist das richtig und haben wir das Recht Musikstücke in der Form zu verändern?
Die oben genannte Bearbeitung finde ich persönlich mutig. Vergessen wir dabei nicht den Kontext der Zeit, in der dieses Werk und dieser Zyklus entstanden ist?
Das besondere an "Frauenliebe und -leben" ist ja, dass es das Leben und die Liebe einer normalen, bürgerlichen Frau darstellt vom jungen Mädchen, über die Heirat hin zum Tod ihres Ehemanns und nicht das Leben einer adeligen Dame, wie es sonst üblich war.
Es ist wie eine halbstündige Selbstreflexion einer Frau über die Liebe, über das Leben und auch in den Gedanken mit und um ihren Mann.
In den Gedichten kommt nur das lyrische "ich" der Frau und das "du", das den Ehemann darstellt vor.
Es widerspiegelt die Idealvorstellung einer bürgerlichen Ehefrau dieser Zeit und zeigt auch, was es bedeutete, wenn eine Frau Witwe wurde. im Gegensatz zur heutigen Zeit, waren die Frauen nicht mit Sozialgeldern gestützt, wenn der Mann plötzlich verstarb. Nicht nur, dass sie mit den Kindern alleine waren, sondern dann häufig auch mittellos dastanden, was oft einen sozialen Abstieg bedeutete.
Sicher, die Texte wirken in der heutigen Zeit altmodisch, aber gibt es uns das Recht, einen Liedzyklus dermassen umzugestalten?
Ich meine, das berühmte Gemälde Da Vincis von Mona Lisa ist nun auch nicht die zeitgenössischste Darstellung einer Frau, doch würden wir deswegen auf die Idee kommen, sie umzuarbeiten?
In der klassischen Gesangskultur bewegen wir uns oft in der Literatur vergangener Zeiten. Die Frage, welche sich mir stellt ist: Wie wollen wir uns dieses Kulturgut sinnvoll erhalten? Wie wollen wir es pflegen und auch für nachkommende Generationen bewahren?
Für mich sind viele Opern, Operetten und Lieder ein Stück Geschichte, das wir pflegen und erhalten und immer im Kontext seiner Zeit betrachten sollten.
Unter den ganzen Diskussionen um Gleichberechtigung, Gendern und Rassismus werden immer mehr Werke und Lieder scheinbar unspielbar. Nehmen wir den "Zigeunerbaron" von Johann Strauss. Alleine beim Titel geht ein Aufschrei durch die intelektuelle Bevölkerung. "Zigeuner" ist inzwischen ein absolutes no-go Wort, weil es als rassistisch gilt. Dadurch wird diese wunderschöne Operette so gut wie unspielbar. Genauso problematisch stellt sich Mozarts "Entführung aus dem Sereil" dar, die in der heutigen Türkei spielt, mit dem Aufseher Osmin. Wie und von wem soll er dargestellt werden, darf der überhaupt noch seine Schimpfkaskade bei "aufspiessen und schnüren zu" so singen in der heutigen Zeit? Oder auch eines der Lieblingswerke des Publikums "Die Zauberflöte" mit Monostatos, der ein Schwarzer ist, laut Libretto. Weisse Darsteller:innen schwarz, oder als Asiaten zu schminken ist inzwischen zu einem echten Problem auf diesen Bühnen geworden, wobei ich mich frage, ob sich die Schwarzen und Asiaten ernsthaft dadurch benachteiligt oder rassistisch angegriffen fühlen.
Wäre es nicht viel sinnvoller im alltäglichen Umgang miteinander echte Toleranz und Akzeptanz zu zeigen? So, dass der echte Rassismus in unserer Gesellschaft keine Chance mehr hätte?
In der Oper, Operette und dem Lied geht es um das Erzählen und darstellen von Geschichten und Märchen.
Sollten wir nicht die Möglichkeit haben auf der Bühne zu spielen und zu sein, was wir sonst nicht sind? Prinzessinen, Feen, Könige, Ritter, Helden, Heldinnen, Götter, andere Völker und Menschen? Wir leihen den Figuren auf der Bühne nur unsere Gestalt und Stimme, wir spielen sie, aber wir sind sie nicht. Das macht doch die Bühne und das Theater aus.
Wo fängt Rassismus an und wo hört er auf? Ich finde es wichtig, dass wir solche Themen ernst nehmen, sie hinterfragen und uns dafür sensibilisieren. Doch ist es wirklich eine Lösung manche Werke nicht mehr zu spielen, weil man sich in irgendwelche Nesseln setzten könnte damit? Wäre es nicht wertvoller die Werke in einem sinnvollen Kontext und Inszenierung zu spielen mit den entsprechenden dramaturgischen Reflektionen und Anmerkungen bei einer Werkseinführung und im Programmheft?
Einerseits verstehe ich, dass wir in der heutigen Zeit im Kontext der Geschichte vorsichtig und rücksichtsvoll sein müssen und dass es unsere Pflicht ist Verantwortung für das Handeln der vorangehenden Generationen zu übernehmen und auch die Geschichte aufzuarbeiten und nicht zu vergessen. Anderseits sehe ich auch, dass wir uns in unserer Kultur immer mehr einschränken und selber zensieren. Ist das wirklich sinnvoll?
Gleichzeitig beobachte ich, dass viele Inszenierungen immer weniger der vorgegebenen Dramaturgie und dem Libretto folgen, sondern versuchen das Rad neu zu erfinden, so dass die Königin der Nacht aus dem Gefrierfach kommt und Sarastro aus dem Putzschrank. Ist das noch erbauend für das Publikum? Welchen Sinn soll Musiktheater und Theater heute erfüllen? Welches Publikum soll angesprochen werden?
In der heutigen Zeit haben wir so viele echte Probleme: Immer höhere Lebenskosten, nach wie vor in vielen Bereichen Genderpaygap, Kürzungen beim Etat vor allem in der Bildung und Kultur, eine Krise in der Wirtschaft und in der Politik. Hat die Gesellschaft es da nicht verdient für 2-3 Stunden den Kopf auszulüften mit einer schönen, gerne auch modernisierten Inszenierung, die aber die Geschichte erzählt? So dass wir erfüllt von schöner Musik und schönen Bildern zurück in den Alltag kehren können?
Musik und Musiktheater soll uns zum Nachdenken anregen, aber auch zum träumen. Es muss sich lohnen ins Theater zu gehen und positiv bereichert zu werden, so dass auch Menschen, die keinen grossen kulturellen Hintergrund haben, es verstehen können und wir uns nicht im Programm auf vielen Seiten erklären lassen müssen, was das ganze soll, und was wer sich dabei gedacht hat.
Ja, das Theater, die Musik und auch die Literatur sollen durchaus mit der Zeit gehen und gewisse Veränderungen vornehmen dürfen, sich im positiven Sinne der Gesellschaft anpassen, doch immer unter der Prämisse, dass der geschichtliche Kontext, in dem die Werke entstanden sind, nicht ganz ausser Acht gelassen sondern mit integriert wird.
Wenn unsere Kultur überleben und erhalten werden soll, müssen wir moderate Wege finden, die Werke dem heutigen Zeitgeist anzupassen, ohne sie dabei zu verunstalten oder gar zu zerstören, so dass sie mit dem ursprünglichen Werk bis auf Melodien nichts mehr gemein haben. Ich glaube etwas mehr Respekt vor dem Schaffen der Komponisten und Libretisten würde uns heute nicht schaden. Ihre Werke sind durchaus mit anderen alt hergebrachten Dingen zu vergleichen. Wenn wir das grosse Glück haben, eine Vase aus der Ming-Dynastie in die Hände zu bekommen, behandeln wir diese auch behutsam mit Respekt und Vorsicht.
Ich würde mir wünschen, dass wir Oper, Operette und Lied wieder den gleichen Respekt und echte Wertschätzung entgegenbringen und so mit diesen wunderschönen und bereichernden Oevren als Gesellschaft und Interpreten in eine sinnvolle Zukunft gehen können.
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