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Burgdorf, Schweiz
AutorenbildYvonne Friedli

Pausen oder "Heute mach ich gar nichts..."

Hier in Berlin sind zur Zeit sehr heisse Tage, die mich etwas träge machen und mir meine Konzentration erschweren.

Ein Lied, das diesen Zustand eines heissen Sommertages wunderbar beschreibt singt Max Raabe: "Heute mach ich gar nichts..."

Doch gar nichts zu tun ist in der Musik und als Musiker:in sehr schwer.

Als ich beschloss, das Singen zu meinem Beruf zu machen, hat meine Lehrerin Ursula zu mir gesagt: "Überleg Dir das sehr gut. Singen nimmst Du immer mit. Auch wenn eine Probe vorbei ist. Singen kannst Du nicht am Eingang einfach ablegen, wie eine Aktentasche."

Erst viel später verstand ich diese Aussage wirklich. Auch wenn ich nicht übe und singe, ist mein Kopf eigentlich immer beim Singen. Sei es, dass ich Auswendig lerne, oder über etwas Musikalisches nachdenke. Es fällt mir schwer abzuschalten, auch wenn ich mir das nur ungern eingestehe. Mein Beruf ist meine Berufung und mit meinem Leben ganz dicht verwoben.

Es gibt kaum eine Trennung von meinem Beruf und meinem Leben. Mich stört das zum Glück nur selten.


Pausen in der Musik


Doch wann tun wir in der Musik nichts? Gibt es diesen Zusastand überhaupt?

Musik ist theoretisch gesehen reine Physik: Luft die auf irgendeine Weise zum schwingen kommt. Sei es beim Singen, bei einem Streichinstrument, einem Zupf- oder Blasinstrument oder einem Schlaginstrument. Wenn wir also eine Melodie spielen/singen ist das vereinfacht gesagt klingende, schwingende Luft. In einer Melodie gibt es meistens eine Struktur, die in Takten eingeteilt ist und in Phrasen. Doch wenn es nun immer klingen würde, wäre es unter Umständen langweilig. Die Pausen machen die musikalische Struktur spannend. Da hat die Melodie kurze Zeit Pause, bevor sie weiterklingt. Man könnte also meinen, dass wir Musiker, wenn Pausen notiert sind, nichts machen. Das stimmt so nicht. Sänger:innen müssen innerlich den begleitenden Melodien lauschen und sie wie mitsingen, damit sie präsent bleiben. Orchestermusiker müssen ihre Musik sehr genau kennen, um wieder rechtzeitig einzusetzen. Nicht immer bekommen sie vom Dirigenten einen Einsatz.

Mit anderen Worten: Wenn Pausen notiert sind, bleiben wir als Musiker immer auf einem gewissen Spannungslevel.



Pausen vom Arbeiten


Gerade bei uns Sänger:innen wird von Seiten der HNO- und Stimmärzten empfohlen pro Jahr 2-3 Wochen nicht zu singen und zu üben. Diesen Zustand nennt man "Stimmpause". Warum? Damit die beanspruchte Muskulatur zur Ruhe kommt und über einen gewissen Zeitraum "nur" zum Sprechen benutzt wird.

Ähnlich wie bei den Spitzensportlern vor allem im Ausdauerbereich, die auch ab und zu eine Trainingspause machen sollten.

Bei den Sportlern richtet sich die Trainingspause nach den Wettkämpfen. Wenn der letzte Wettkampf der Saison vorbei ist, machen viele 2-3 Wochen eine Pause. Es gibt 5 gute Gründe für eine Trainingspause:

1. Die Muskeln kommen zur Ruhe und können regenerieren. Dadurch vermindert sich die Gefahr einer Verletzung oder auch eines Ermüdungsbruchs.

2.Der Kopf kann vom vielen Training auslüften.

3. Der persönliche Akku kann in dieser Zeit wieder aufladen.

4.Der innere Schweinehund kann sich in dieser Zeit austoben, bevor er wieder an die Leine genommen wird. ;)

5.Wenn wir Zeit und Raum für andere Dinge haben, können neue Ideen entstehen.


Wir können diese oben aufgezählten Punkte fast eins zu eins auf uns Musiker:innen übertragen:

Unsere Pause richtet sich auch nach unserer Auftragslage.

1. Auch unsere Muskeln müssen mal ruhen und sich regenerieren.

2. Es tut uns gut mal etwas ganz anderes zu machen. Der Kopf lüftet aus.

3. Wir tanken neue Energie für die kommenden Aufgaben.

4. Wenn der innere Schweinehund eine zeitlang machen darf, was er will, kommt unsere Kraft und Motivation ohne Probleme zurück und hilft uns, uns auf unsere neuen Aufgaben zu konzentrieren.

5. In der Zeit, wo wir mehr Raum für uns haben, können viele neue Ideen entstehen.


Wichtig für mich persönlich ist, dass die Pause nicht zu lange ist. Das hat folgenden Grund: Muskeln, die nicht beansprucht werden, bilden sich zurück. Das gilt auch für die Atemmuskulatur und diese nach 6 Wochen oder längerer Pause wieder aufzubauen ist ein hartes Stück arbeit. Nach 2-3 Wochen fängt man als Profisänger:in meistens fast da an, wo man aufgehört hat und das gestaltet sich wesentlich einfacher. Wichtig ist auch nicht gleich wieder volle Kraft los zu singen, sondern sanft anfangen. Die ersten Tage nur leicht und locker singen, bis man spürt, dass die Kraft der Stimme wieder da ist. Mit zunehmenden Aufgaben verstärkt sich die Belastung der Stimme von selber. Oft beobachte ich, dass sich in den Pausen gewisse Vorgänge gesetzt haben und nun funktionieren, wo ich vorher manchmal fast vergeblich geübt habe, wie wenn die Muskeln während der Regeneration etwas begriffen, verinnerlicht oder verstanden hätten. Eine Tatsache, die mich immer wieder aufs Neue erstaunt.


Pause für den Kopf: Minimal Music


Eine andere Art der Pause findet sich in der grösstmöglichen Einfachheit der Dinge und hier der Musik wieder. Zum Beispiel in ständigen Repetition, die harmonisch und rhythmisch nicht sehr variieren. Wenn eine Melodiestruktur sich kontinuierlich immer wieder wiederholt, führt dies uns als Zuhörer in einen musikalischen Flow, der uns beim Hören nicht anstrengt, sondern oftmals entspannt.

So gesehen macht unser Geist beim hören dieser Musik eine Pause und kann sich ausruhen.

Minimalmusic ist in den 1950er aus unserer zeitgenössischen Musik heraus entstanden, als eigene Richtung. Ausschlaggebend war die Seriellemusik. Die Idee dazu gab es aber schon viel früher und auch in anderen Kulturen. Wir finden sowohl in Indien als auch in Asiatischer- oder Afrikanischermusik ähnliche Strukturen. Und hier in Europa war die Notre-Dame-Schule aus heutiger Sicht fast minimalistisch unterwegs. All diese Einflüsse finden wir in der zeitgenössischen Miminalmusic wieder. Bekannte Vertreter und Komponisten sind Philip Glass, Max Richter, John Adams um nur wenige aufzuzählen. Beim klassischen Publikum ist die Minimalmusic umstritten. Manchen Zuhörern fehlt die harmonische Vielfalt und der grosse Spannungsbogen. Andere finden es einfach langweilig. Wie so oft bei zeitgenössischer Kunst und Musik scheiden sich die Geister. Doch machen Sie sich selber ein Bild:



Pausenfazit:


Bei der Recherche zu diesem Blog ist mir bewusst geworden, wie wichtig es ist sich ab und zu eine Auszeit zu nehmen und sich eine Pause zu gönnen. Sei es eine kürzere über den Tag oder eine längere über wenige Wochen.

Sei es im Beruf, beim Üben oder in vielen anderen Bereichen. Oftmals kehren wir nach den Pausen gestärkt in unsere Bereiche zurück und das ist wertvoll. Pausen lassen nicht nur unseren Geist wachsen, sondern regenerieren auch unseren Körper, unsere Muskeln und lässt sie wachsen.

In unserer schneller werdenden Gesellschaft geht der Müssiggang immer mehr verloren und damit auch Raum für viel Kreativität, die in uns schlummert und nur in der Ruhe oder eben in einer Pause zum Vorschein kommt. Und zwar dann, wenn wir nichts machen. Nicht in den Handybildschirm starren, oder auf den Computer, oder Zeitung oder ein Buch lesen, keine Musik hören. Einfach gar nichts.

Oh, das ist das Stichwort! Ich wünsche Ihnen eine wunderschöne Restwoche mit Zeit für Pausen, Müssigang mit Raum für Ideen und Kreativität! ;)


"Heute mach ich gar nichts..."


#pause#müssiggang#kreativität#ideen#minimalmusic#konzertsängerinberlin







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